Einen Roman zu schreiben ist harte Arbeit – diese von vielen Autor:innen wiederholte Binsenweisheit stimmt u. a. insofern, als man sich immer wieder mit der Furcht vor dem Scheitern auseinandersetzen muss, mit der Angst vor der unbeschriebenen Datei, die sich einfach nicht füllen will. Zum Schreiben muss man in eine spezielle Art von liminalen Raum eintreten, sich auf der Schwelle zwischen der Idee eines Textes und ihrer Ausbuchstabierung aufhalten und diese Schwelle immer weiter – wie auf einem Fließband oder in einem Fluss – hin zu den Worten überschreiten. Ablenkungen gibt es unendliche. Alles scheint besser, als sich wieder der Möglichkeit dieses Scheiterns auszusetzen – etwa stundenlang irgendwelchen Internet-Impulsen zu folgen. Während ich an Väter arbeitete, stieß ich auf einer dieser Abschweifungen auf Deniz Ohdes Playlist zu ihrem Debütroman Streulicht. Ich blieb beim vierten Song hängen: White Chalk von PJ Harvey. Die Sängerin hatte ich seit Jahren nicht gehört, den Song kannte ich noch nicht, ich fand ihn sofort eingängig. Und irgendwie bekam ich Lust, mich meinem Text zuzuwenden.
Zu lange von einer Ablenkung zur nächsten zu streunen ist gefährlich. Aber es gibt Tricks, um sich selbst zu überlisten – dazu gehören, wie zu so vielen liminalen Räumen: Rituale. Jede Autorin und jeder Autor erschafft sich seine eigenen Gewohnheiten, um ins Schreiben hineinzufinden und möglichst in einen beglückenden Flow zu kommen. Für mich gehörten die letzten neun Jahre während der Arbeit am Roman vier Dinge dazu: meine Arbeitswohnung am Maybachufer, Sencha, den ich aus einer schwarzen Gusseisenkanne nach etwa vierzig Sekunden Ziehzeit in die vier immer gleichen Tassen abgieße, eine selbstgedrehte Zigarette am Fenster und Musik. Genau genommen genügt oft ein Song. (Beim Schreiben selbst kann ich nichts hören, sonst wandert meine Konzentration zur Musik.) Oft ist das über Monate, teils Jahre ein und derselbe Track, der mal mehr, mal weniger mit dem entstehenden Text zu tun hat. Musik, die ich in meinem Alltag nicht unbedingt höre, die für das Ritual aber enorm wichtig ist und die einen geradezu Pawlow’schen Reflex auslöst: Jetzt geht es los! Jetzt geht es wieder ins Schreiben! Jetzt kommt gleich der Flow! Hier eine Auswahl meiner Enter-the-flow-Songs (in der Reihenfolge, in der sie für mein Ritual in den letzten Jahren eine Rolle spielten).
Radiohead: Everything In Its Right Place
PJ Harvey: White Chalk
Cat Power: The Greatest
Drake: Passionfruit
Bon Iver: 8 (circle)
The Beta Band: Dry the Rain
Broken Bells: Vaporize
Bon Iver: Blood Bank
The Beatles: The Long and Winding Road (Naked Version)
Kurt Cobain: And I Love Her
R.E.M.: Find the River
Playlist (Laufzeit: ca. 45 Minuten )