Ein literarisches Buch mit einem visuellen Thema erneut zu visualisieren kann keine leichte Aufgabe sein, und das war es auch nicht. Zudem hatte Tomaso Carnetto es gewagt, den Autor einzuladen, also mich, um das Seminar an der Academy of Visual Arts abzuhalten. Dafür mussten die Studierenden den Roman Nichts Weißes – tatsächlich – lesen, um das zu finden, was als »persönlicher Bezug« definiert wurde. Carnetto, Direktor dieser privaten Ausbildungsstätte in Frankfurt am Main, hatte mir verraten, was für ihn die memorabelste Textstelle war: »Später geht es mit Hallo durchs Stadttor, der Hinterreifen könnte mehr Luft haben, Cristina wird das Profil des Kopfsteinpflasters auf den Po gestempelt.« Aber er, der Ur-Leser in dieser Konstellation, war ja nicht gefragt.
Schnell zeigte sich, dass Studierende, für die Bild und Grafik geläufig sind, sich auf Textstellen stürzen, die visuelle Erfahrungen verdichten – Erfahrungen und Erlebnisse meiner Heldin Marleen Schuller in diesem Fall. Womit sie nicht gerechnet hatten, war der Umstand, dass es foto- und typografische Aufgaben, die im Roman beschrieben werden, tatsächlich einmal gegeben hat. So stammen etwa die Beispiele der Typo-Klasse in Kassel, bei denen es um die räumliche Visualisierung eines Buchstabens geht (Marleens ist das »e«), allesamt von Christoph Gassner, der eben wirklich in Kassel gelehrt hat und die besten studentischen Arbeiten von damals noch heute in den Schubladen seiner Grafikschränke aufbewahrt. Ich hatte ihn im Süden Darmstadts in seinem phantastischen Loft besucht, als der Roman entstand. Nun wollte ich natürlich nicht, dass die Studierenden in Frankfurt seine Aufgaben von damals nachstellten.
Die andere Hürde, die zu überwinden war, lag ganz allein bei mir, weil ich zunächst befremdet war von der eigenen Deutung, die Studierende den Textstellen hinzufügten. Das ging im Laufe des Semesters so weit, dass Bildstrecken mit Stichworten unterlegt wurden, die definitiv nicht aus meinem Roman stammten. Eine der Vorgaben war gewesen, es ginge im Seminar nicht um die buchstäbliche Illustration des Textes. Das hatten wir nun davon. Die machten daraus, was sie wollten!
Die am Ende von der Academy, dem Autor und dem Verlag ausgewählten Arbeiten (wir zeigen hier innerhalb von drei Wochen drei) stammen sämtlich von Frauen, was nicht ganz so merkwürdig ist, wenn man weiß, dass dieses Seminar hauptsächlich von Studentinnen besucht war. Ganz dem Rumor folgend, dass Leser mehrheitlich Leserinnen sind. Und zwar gute.
Die Arbeit von Eva Karadoukas
Nichts Weißes: »Ann Jaccotett war als Bratschistin des Jahres zur Deutschen Grammophon gewechselt; das Quintett probte jetzt im Haus.«
Eva Karadoukas: »In meiner Familie musizierten wir oft in der Wohnstube. Meine Mutter spielt das Cello, meine Schwester spielt Geige, die andere Schwester spielt Bratsche und ich spiele Klavier. Das Forellenquintett ist bis heute das Lieblingsstück meiner Mutter.«
Zwei Musikbezüge aus Nichts Weißes hatten es Eva Karadoukas angetan, eine Stelle Pop und die andere »ernste« Musik. Das Forellenquintett hat dann den Durchmarsch gemacht. Gegen gigantische Widerstände – denn Eva hatte sich vorgenommen, eine grafische Notation für die Partitur zu erfinden, so präzise, dass sich das Ganze in Noten zurückübersetzen lassen würde. Als Erfindungsaufgabe wären das die »Dingbats« hoch drei gewesen. Wir mussten sie überreden, sich mit wenigen Takten zu begnügen, also gewissermaßen mit der Idee. Link zum Forellenteich: Evas dunkles Selbstportrait eingelegt in das musikalische Notat – das Märchen von der Undine, Fouqué mit Schubert, gut getroffen.