Vielleicht später ist sozusagen ein defensives Mañana. Ein thematisch offenes Blog in der Jetztzeit mit Fotos, ein Versuch, in der Gegenwart zu schreiben. Die Gegenwart ist Berlin. Die Wege und Wände meist die gleichen wie in Umsonst & draußen. Vieles ist anders. Leute kommen vorbei. Die Fussball-WM, die wie Weihnachten oder Geburtstag immer zu früh kommt. An den Wänden gibt es Zeichen. Oder auf dem Boden. Wie in jedem Tagebuch geht es darum, sich selbst und die Welt im Blick des Anderen zu ordnen. In der Gegenwart. »Kommst du?« – »Vielleicht später«.
Schon ein paar Tage machte ich mir Gedanken über die Arbeit der nächsten Woche, genauer über die erste Sitzung des Workshops im Polnischen Institut, am Rande des polnischen Filmfestes filmPOLSKA. Als Workshopleiter soll ich zwölf jungen Leuten, die meisten Mitte 20 und mit abgeschlossenem Studium, etwas über das Schreiben über Film erzählen und die während des Workshops entstehenden Texte redaktionell betreuen. Ein prima Job; vor einem Jahr hatte ich das schon einmal gemacht.
Um die Vorbereitung des Workshops hatte ich mich nicht gekümmert und den Titel der ersten Sitzung viel zu spät gesehen:
Einführung in Funktion und Methoden der Filmkritik und des Filmjournalismus sowie ihrer Formen und Formate, Unterschiede und Gemeinsamkeiten; Exemplarische Vorstellung eines Beitrages der Filmkritik und des Filmjournalismus.
Als ich die Kollegin anrief und ihr leicht hysterisch erklärte, ich hätte von Funktion und Methoden der Filmkritik keine Ahnung und würde die Funktionen und Methoden der Filmkritik auch eher ablehnen, war es schon zu spät.
Von ferne war ich auch nicht komplett inkompetent, hatte aber keine Lust, jetzt lange rumzurecherieren, um dann einen Blender-, einen So-tun-als-ob-Vortrag zusammenzugoogeln, und kam zu spät auf den eigentlich naheliegenden Gedanken, ein paar Texte über Film aus unterschiedlichen Zeiten, von Eisenstein, Kracauer, Godard, Frieda Grafe, Alexander Kluge (Bestandsaufnahme: Utopie Film) und Kollegen wie Cristina Nord, Katja Nicodemus, Dietmar Dath usw. und ein paar eigene zusammenzustellen und mit den Teilnehmern darüber zu reden, sondern verfolgte eher unentschlossen gleichzeitig unterschiedliche Arbeitsprojekte: in einer Datei unter dem Arbeitstitel »für Dilettantismus – gegen das Profitum« schrieb ich Notizen über den Weg von der Psychoanalyse als Gesellschaftskritik zur Filmkritik als Gesellschaftskritik hin zur Literaturwissenschaft als Gesellschaftskritik.
Ich rauchte, trank a couple of beers und entschloss mich schließlich, einfach den Wikipedia-Beitrag in Sachen Geschichte der Filmkritik vorzulesen. Vielleicht auch, weil in dem Text irgendwo der Begriff »ästhetische Linke« auftaucht, den ich ganz passend finde, wenn ich über meine erste Zeit in der Gegend der taz nachdenke – Ende der 80er, Anfang der 90er. Irgendwie war es ja auch so kirchlich, empört hätte man es vermutlich von sich gewiesen, lediglich ein ästhetischer Modelinker zu sein.
Verhaspelte mich beim Vorlesen des Wikipedia-Beitrags; das Gefühl, dass die eigene Geschichte, wie man zum Schreiben und Veröffentlichen kam, doch schon eine Weile her ist und schwer zu vermitteln. Wahrscheinlich nimmt man sich schon eine Weile nicht mehr als Geschichte wahr, weil man zögert, vorgesehene Wege zu gehen und einem das Zögern vielleicht auch gefällt; der Weg ins Fiktionale ist nicht so einfach, wenn man sich selber so oft eher als Film wahrgenommen hat.
Die Namensschilder als Repräsentanten der TeilnehmerInnen gleichen Namens. Später, nach der Eröffnung, viele Bekannte, Kollegen und Freunde; Herumstehen, rauchen, trinken, reden. Katja sah irgendwie anders aus und trug sehr schöne Sachen. Da und dort wurden Gespräche um Förderungen für diverse Projekte geführt. Zu Fuß dann nach Hause; phasenweise ist Gehen auch furchtbar langweilig, aber fühlt sich eigentlich nicht länger an als Radfahren.
Gegen Mittag wieder zu Fuß zum Polnischen Institut. Am Hanfmuseum vorbei.
Witzigerweise riecht es tatsächlich plötzlich nach Gras.
In Kreuzberg liegen überall Tütchen mit Marihuanablattaufdruck herum. Reklame? Propaganda? Aufklärung?